Gastwirtschaften im Stadtgebiet bereicher(te)n das öffentliche Leben –
Marsbergs Fundstück des Monats beschäftigt sich mit dem „Rosenthal“
Obermarsberg / Niedermarsberg. Der 23. April wird bundesweit als „Tag des deutschen Bieres“ angesehen. Denn an diesem Tag im Jahr 1516 wurde das deutsche Reinheitsgebot proklamiert. Seitdem, also seit 500 Jahren, gilt per Gesetz: In unser Bier gehört nur Wasser, Hopfen und Gerste.
Es ist das älteste Lebensmittelgesetz der Welt, was sich die Menschen zu verschiedensten Anlässen schmecken lassen. Eine lange Tradition haben somit auch die Gastwirtschaften im Marsberger Stadtgebiet.
Der Marsberger Geschichts- und Heimatverein „Marsberger Geschichten – Schlüssel zur Vergangenheit e. V.“ erhielt für das Museum „Haus Böttcher – Marsbergs Haus der Geschichte aus 1589“ weitere Urkunden, Tagebücher und Schriftstücke der Familie Becker sowie dem Obermarsberger „Rosenthal“. Der mittlerweile ergiebige Gesamtfundus zu dieser ehemaligen Gastwirtschaft und deren Inhaber-Familie wurde nun zu Marsbergs Fundstück des Monats April 2016 prämiert.
Das Obermarsberger Gasthaus Rosenthal lag an der damaligen Chaussee zwischen Bredelar und Niedermarsberg. Begründet hat diese Schankwirtschaft in der (Chausseestraße 224) der Tierarzt und „Schenkwirt“ Heinrich Becker. Die Konzession zur Wirtschaft war seit dem 24.08.1868 erteilt.
Als 1880 Johann Becker die Schankwirtschaft übernahm, waren sein Vater Heinrich Becker und auch seine Mutter bereits verstorben. Johann Becker beantragte 1897 die Ausweitung der Konzession zur Gast- und Schankwirtschaft, die auch genehmigt wurde.
In den vielen Urkunden aus der Kaiserzeit finden sich tolle Anekdoten, aber auch interessante Geschichtsfakten wieder. Am 16.03.1880 vermerkte der Amtmann Riedel: „Die bisherige Beckersche Wirtschaft wurde nur von dem reisenden Publikum und von den Bewohnern hiesiger Stadt besucht. Die Stube rechts wird lediglich von dem besseren Publikum, namentlich des Sommers hindurch benutzt. Das Beckersche Haus ist fast das einzige in der Nähe der Stadt, wo das bessere Publikum bei Ausflügen zu verkehren pflegt.“
Links vom Eingang des Hauses war somit die „ordentliche Gaststube“ und rechts daneben „eine schöne und gut eingerichtete Stube“. Am 26.03.1880 ergänzte Riedel: „Das Beckersche Haus liegt im Stadtbezirk von Obermarsberg. Mir ist nicht bekannt, daß der p. Becker Gastwirthschaft im eigentlichen Sinne des Wortes betreibt. Soviel mir bewußt, beherbergt er Fremde nicht. Nur besuchen die Familien der hiesigen Stadt oder auch Fremde mintunter das Beckersche Haus und trinken dort geistige Getränke, Kaffee oder lassen sich Butterbrod geben.“
Das „30 Fuß lange, 22 Fuß breite und 9 Fuß bis zur Traufe hohe“ Gebäude aus den 1860er Jahren wurde mit einem Steuerwert von 240 Mark in die Steuerklasse 15 eingestuft. Das Wohnhaus mit Anbau und Stall, also die spätere Schankwirtschaft, bekam im Jahr 1897 noch einen Backofen zum Brotbacken hinzu. Auch eine „verdeckte Kegelbahn“ wurde in diesem Jahr links vom Gebäude errichtet.
Hochinteressantes zum Leben und zu Geschehnissen in Marsberg spiegelt das Tagebuch vom Veterinär Heinrich Becker wider. Heinrich Becker schreibt rückblickend für das Jahr 1866: „Das Strafgericht Gottes sei ausgebrochen, müssen wir in diesem Jahr gedacht haben. Krankheit, Krieg und Missernte verbreiteten Angst und Schrecken. Der Krieg nahm ein schnelles und für Preußen siegreiches Ende. Doch der Siegesjubel war noch nicht verklungen, da ereilte überall die geplagten Menschen die Nachricht vom Ausbruch der Cholera. Hier im Amt und Umgegend sind bereits 96 Menschen erkrankt. Schon 38 Todesfälle wurden verzeichnet. Aus dem Kreis Lippstadt vermeldete man 480 Erkrankte mit 90 Toten.“
Auch in Detmold, Paderborn und Soest grassierte die tückische Krankheit. Am 12. September trat der erste Cholerafall in Stadtberge auf. Es erkrankte der Chausseearbeiter Johann Bruch. Mehrere weitere Personen erlitten Durchfall und Erbrechen. Als seuchenhygienische Maßnahme ordnete die örtliche Polizei die Desinfektion sämtlicher „Abtritte“ an. Man schüttete in die Toiletten eine „Eisenvitriol-Lösung“. Welche Panik die Cholerameldungen verbreiteten, zeigte auch die örtliche Zeitung.
Begierig mögen die Leser alle Hinweise aufgenommen haben, wie sie sich vor drohender Ansteckung schützen konnten. Becker schreibt hierzu: „Neben vermeintlichen Patentrezepten finden Mediziner krankheitsvorbeugende Maßnahmen allgemeiner Arth. Der Kreisphysikus Dr. Schunck in Brilon empfiehlt eindringlich das „Warmhalten der Unterleiber“. Jeder sollte wollene Binden tragen. Die tüchtige Geschäftswelt stellte sich schnell auf solchen Bedarf ein.“
Die Geschwister Strauß in Niedermarsberg wiesen in Inseraten auf ihr reichhaltiges Lager mit Cholerabinden aller Größen hin. Darüber hinaus, so meinte der damalige Kreisarzt, sei übermäßiges Essen und Trinken zu vermeiden. Schlechte saure Biere und Weine sowie schlechten Branntwein solle man tunlichst nicht trinken. Ein gutes Bier, guter Rotwein und guter Rum könnten dagegen von Nutzen sein.
Becker fragestellend: „Also sah man im Schnaps, sofern er ein guter war, durchaus ein probates Mittel gegen Cholera. Nur was tranken die, welche sich teure Spirituosen nicht leisten konnten?“
Ein besonderer Vorfall ist in den Urkunden des „Rosenthal“ für das Jahr 1888 belegt: „Zur einzigen unfriedlichen Ausnahme in der Geschichte der Schankwirtschaft“ kam es am 27. April 1888, als eine kleinere Rauferei während eines Festes zur Massenschlägerei ausartete.
Aus geringfügigem Anlass kam es im Keller und später in der Schankstube zu einem Streit zwischen Soldaten und Zivilisten. Als ein „Artillerist“ seinen Säbel zog, entbrannte eine größere Schlägerei, bei der auch Stöcke und „Bhierkrüge“ zum Einsatz kamen und daher relativ viele Verletzungen zu beklagen waren.
Nach und nach griffen die Gewalttätigkeiten auf weitere Räumlichkeiten und den Garten über. Die hinzukommende „Gendarmerie“ und auch die „Zuchthauswache“ konnten der Menge nicht Einhalt gebieten, bis schließlich eine 50 Mann starke Einheit „Schwerer Reiter“ eintraf und „Säbel schwingend einritt“. Als die Streitigkeiten ausbrachen, war nur ein einziger „Wachtmeister“ im Einsatz, was in einer späteren Untersuchung als ein Grund für die Eskalation angesehen wurde.
Teilweise wurde auch die Erhöhung des Bierpreises an diesem Tag als eigentliche Ursache für die Reizbarkeit der Festbesucher vermutet. Fakt war aber lt. den Ermittlungen, dass der „Artillerist“ vom Wirt keine „geistigen Getränke“ mehr ausgeschenkt bekam und diese sich im Keller selbst besorgen wollte.
Nähere Informationen zum Fundstück des Monats finden Sie unter: www.Marsberger-Geschichte.de
Fotos im Anhang:
01 An der damaligen Chausseestr. 224 an der direkten Grenze zu Niedermarsberg war das Gasthaus Rosenthal der „letzte Außenposten der Stadt Obermarsberg“. Die Aufnahme entstand um 1900 und zeigt die Inhaber-Familie Becker.
02 Gasthof Rosenthal, Inhaber Johann Becker, um 1905 – Vor dem Gebäude sind Johann und Josephine Becker sowie einige ihrer 13 Kinder abgebildet.
03 Das Foto zeigt die Familie Becker aus dem Rosenthal in Obermarsberg, ca. 1910 – Am Tisch sitzen das Ehepaar Josephine und Johann Becker.
04 Hausmusik im Gasthof Rosenthal in Obermarsberg – Das Foto zeigt v. l. n. r. Leo Greiner, Jupp Giller, Hans, Bernhard Götte und Karl Becker.
05 Das Foto bildet Pferd „Hans“ sowie die Tierarztkutsche vom Veterinär Johann Becker (sitzt in der Kutsche) ab. Die Aufnahme ist aus ca. 1910. Sein Vater Heinrich Becker war ebenfalls Tierarzt.
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