Schon die alten Ägypter produzierten es –
Marsbergs Fundstück des Monats und ein traditionsreiches Handwerk
Niedermarsberg / Meerhof / Oesdorf / Essentho / Fürstenberg. „Nimm sechzig Teile Sand, hundertachtzig Teile Asche aus Meerpflanzen, fünf Teile Salpeter, fünf Teile Kreide – und Du erhältst Glas“. Die Rezeptur, aus der dieser Satz entnommen wurde, stammt aus der Tontafel-Bibliothek des assyrischen Königs Assurbanipal (668 bis 626 vor Christus). Ganz so einfach war es jedoch damals wie heute nicht, den faszinierenden und universell einsetzbaren Werkstoff Glas herzustellen.
Ein traditionsreiches Marsberger Handwerk ist die Glasproduktion. Der Marsberger Geschichts- und Heimatverein „Marsberger Geschichten – Schlüssel zur Vergangenheit e. V.“ erhielt für das Museum „Haus Böttcher – Marsbergs Haus der Geschichte aus 1589“ interessante Urkunden und Aufzeichnungen aus dem Jahr 1917 zu diesen Marsberger Produktionsstätten, die ihren Ursprung allerdings im Paderborner Raum hatten.
Die ergiebigen Urkunden wurden nun zu Marsbergs Fundstück des Monats Mai 2016 prämiert. Bernhard Schulte stellte zahlreiche historische Foto-Aufnahmen zum Glashandwerk dem Heimatverein zur Verfügung.
Ob als Fenster- oder Autoscheibe, als Spiegel, Brillen- oder Trinkglas, als Beleuchtungskörper oder Ziergefäß. Glas begegnet uns im täglichen Leben in unendlicher Vielfalt. Trotz vieler mehr oder weniger erfolgreicher Ablöseversuche ist Glas nach wie vor unentbehrlich.
Schon den alten Ägyptern war die Glasherstellung bekannt. Aus den primitiven Anfängen entwickelten sich seltene Feinheiten und Kostbarkeiten. Ägypten war für die Herstellung von Glas wie geschaffen. Es besaß die Grundstoffe hierzu in Hülle und Fülle: Sand aus der libyschen Wüste, Soda der Bitterseen, Asche der Seepflanzen und der Kalk von der Ostseite des Nils. Über den Handelsverkehr der Phönizier gelangte das Glas und somit die Begehrlichkeit der eigenen Glasherstellung nach Europa. Italien war ein Hochproduktionsstandort bis ins 16. Jahrhundert. Bis ins 17. Jahrhundert hinein kannte man in deutschen Landen keinerlei Fenster- und Spiegelscheiben.
Über Böhmen, Schlesien, Sachsen, Thüringen und Hessen gelangte das Glashandwerk in unseren Raum nach Paderborn. Zum ersten Male findet eine Glashütte im Jahr 1658 Erwähnung. Danach blühte die Glasindustrie im Paderborner Land in den Jahren 1680 bis 1734 besonders auf. Um das Jahr 1700 ist Fürstenberg erst als „Neben“-Produktionsstandort erwähnt. Mit kleineren Unterbrechungen betrieb man dieses Werk durchweg bis zum Jahr 1904. 12 Glashütten sind für diesen Zeitraum dort nachweisbar. Sie standen insbesondere nördlich von Dringenberg.
Die erste „eigenständige Glasfabrik“ im ehemaligen Kreis Büren, so die Urkunden, befand sich in der Nähe zu Meerhof und Oesdorf – unterhalb des sogenannten „Hüttchenberges“ zwischen Blankenrode und Hardehausen. Der Betrieb ist zumindest für die Jahre 1764 bis 1769 urkundlich belegt. Die Spuren hierzu findet man teils noch heute im Forstbereich „Grünes Hüttchen“, unweit des Blankenroder Baches. Schürfungsstellen auf Sand bzw. Quarz sieht man in den nahen „Elendslöchern“.
Lt. den Urkunden wurde die Pottasche anfangs zollfrei als Handelsware aus Holland eingeführt. In eigenen „Aschenhütten“ stellte man später selbst „Buchenasche“ her. Zwischen Meerhof und Blankenrode gibt es noch heute die Gebietsbezeichnung auf der „Asche“. Hier wurde jedoch die Aschengewinnung der Bodenmelioration dienstbar gemacht.
Wegen der zur Verfügung stehenden einfachen Mittel beschränkten sich die Glasfabrikanten auf die Herstellung von „grobem“ grünem Glas im Gegensatz zu feinem (hellem), das auf der „Emde“ bei Brakel angefertigt wurde. Diese Glashütte „in tiefster Abgelegenheit“ von menschlichen Siedlungen konnte sich aber nicht lange halten und wurde später nach Marschallshagen durch die Freiherren von Zitzewitz verlegt.
Die oben bereits erwähnte Glasfabrik bei Fürstenberg wurde im Jahr 1904 nach Niedermarsberg verlegt. Als Hauptgrund hierfür wird die „Wirtschaftlichkeit“ angegeben. „Ein fachkundiger Arbeiterstamm siedelte mit nach Marsberg über.“ In diesen Familien wurde das Glashandwerk schon seit Generationen betrieben.
Marsberger Glashütten hatten von jeher einen guten Ruf. Die Arbeiter wurden, so die Urkunden, „gerecht entlohnt“. … „Fast jeder Eingesessene betrieb etwas Landwirtschaft oder Gartenbau nebenbei und erzeugte so die nötigsten Lebensmittel selbst. An den langen Winterabenden wurde Flachs zu Hausmannsleinen gesponnen. Infolgedessen brauchte der Lohn bei weitem nicht vollständig ausgegeben zu werden. So erwarben sich viele Glasmacher in der damaligen verhältnismäßig geldarmen Zeit ein nicht unbeträchtliches Vermögen, sie galten als reich und wurden sehr oft als Geldverleiher in Anspruch genommen.
Allerdings war auch für viele der reichliche, pünktlich ausgezahlte und ohne persönliche Sorgen erworbene Lohn zum Verderben. Seit Bestehen der ersten Glasfabriken werden von behördlicher Seite immer wieder Klagen über den Alkoholmißbrauch der Glasmacher laut. … In dieser Hinsicht ist insofern eine wesentliche Besserung eingetreten, daß der Alkoholgenuß während der Arbeitszeit und in den Fabrikräumen strengstens verboten ist.“
Das Hauptgebäude der Fabrik in Niedermarsberg wurde im Volksmund als „Bärenhütte“ bezeichnet. Laut Anekdote fanden die damaligen Besitzer als Freizeitjäger den Standortnamen auf der Pirsch. Auf einer Waldlichtung in der Nähe des Produktionsstandortes erschien vor ihnen überraschend ein Bär, der aber nicht angriff, sondern tanzte. Die Angst wich daher schnell und das zu einer Gauklertruppe gehörende, dressierte Tier konnte eingefangen werden.
Mit allen Mitteln ging man daran, den Marsberger Glasbetrieb zu vergrößern. Sogar „Arbeiter von auswärts“ wurden eingestellt. Von der bisherigen Holzfeuerung ging man zur Kohlenfeuerung über. „Die seither in Benutzung gewesenen offenen Häfen wurden gegen gedeckte ausgewechselt. Diese Häfen sind aus hochfeuerfestem Material hergestellt, damit die Glasmasse darin geschmolzen werden kann. Von Zeit zu Zeit müssen die Häfen während des Betriebes ausgewechselt werden.“ Diese Arbeit, die gar nicht so leicht war, wurde meistens am Samstagabend vorgenommen.
Bis im Jahr 1917 war die Glashütte ununterbrochen in Betrieb. Der Krieg und die damit verbundenen Absatzschwierigkeiten des hergestellten Glases erforderten die Stilllegung. Erst im Jahr 1921 konnte die Arbeit wieder aufgenommen werden. Die damals noch immer anhaltenden Absatzschwierigkeiten zwangen jedoch zu mehrmonatigen Unterbrechungen. Im Laufe der Jahre hatte man die Überzeugung erlangt, dass die Ösen mit Halbgasfeuerung wegen zu großen Kohlenverbrauchs unrentabel waren. 1931 wurde deswegen ein Siemens-Gasofen mit offenen Häfen eingebaut. Im August 1931 schloss der Betrieb für 3 Jahre. Ab dem Jahr 1934 wurde er „peu à peu“ ausgebaut.
Marsberg stellt bekannter Weise noch heutzutage einen Weltmarktführer im Glasgewerbe mit Sitz in Essentho.
Nähere Informationen zum Fundstück des Monats finden Sie unter: www.Marsberger-Geschichte.de
Fotos im Anhang:
01 Blick auf die „Glaswerke“ in Niedermarsberg in den 1960er Jahren – Zu sehen sind außerdem die Bahnstrecke, Teile der Paulinenstraße und die Wallmei.
02 „Bayerische Werkstelle“ der Firma Ritzenhoff in Niedermarsberg, Ende der 1950er Jahre – Oben sind v. l. n. r. ein Köbelmacher, Bernhard Schulte (Einbläser), Peter Schopp (Stiel-Anfänger) und Fuß-Anfänger Günter aus Bredelar zu sehen, ganz rechts Herr Wittmers aus Madfeld. Vorne v. l. n. r.: Werkstellenleiter Hans Melch, Einträgerin Threschen Fischer und zwei Personen weiter Bodenmacher Michael Fischer.
03 Am „Großen Hafenofen“ der Glashütte Niedermarsberg (Ritzenhoff) in der Paulinenstraße, ca. 1980 – Auf dem Foto ist eine „Bayerische Doppelwerkstelle“ zu sehen. Werkstellenleiter war Michael Fischer. Von links oben: Ali (Stielanfänger), Herbert Otte (Fußanfänger), Klaus Austermühl (Köbelmacher), Horst Pohl (Einbläser), Günter Genster (Einbläser). Unten sitzen von links: Michael Fischer (Leiter) und Bernhard Schulte (Bodenmacher).
04 Der „Rumdreher Francesco“ übergibt das Glas an den „Bodenmacher“ Bernhard Schulte. – Ritzenhoff in der Paulinenstraße in Niedermarsberg um 1960.
05 Das „Hafensetzen“ der Ofenarbeiter in der Marsberger Glasfabrik Ritzenhoff in den 1960er Jahren.
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